Rückkehr nach Korsikahome

Seit ihrer Scheidung fühlte sich Betty wie eine Schauspielerin, die zwar ihren Text gelernt hat, aber nicht empfinden kann, was sie gerade spielt: die nette Kollegin, die freundliche Nachbarin, die gut gelaunte Freundin. Nicht einmal ihre Tränen waren echt und erst recht nicht ihr Lächeln. Als lebte sie nicht mehr, sondern funktioniere nur noch. Wie eine mechanische Aufziehpuppe oder ein Roboter, der auf die Frage „Wie geht’s?“ automatisch „Danke, gut.“ antwortet.

In Wahrheit war kaum ein Morgen vergangen, an dem sie am liebsten nicht aufgewacht wäre, und kaum ein Abend, an dem sie vor Einsamkeit nicht in ihr Kissen geweint hatte. In ihren Träumen wurde sie immer öfter von Bildern und Erinnerungen heimgesucht, die sich alle um eines drehten: Korsika.

An manchen Frühlingstagen glaubte sie, einen Anflug des Inseldufts wahrzunehmen, der sich mit dem Südwind über die Alpen bis nach Deutschland gerettet hatte. Der Hauch eines herbsüßen und gleichzeitig frischen Dufts nach Kräutern der Macchia, Pinienholz und Zitro-nenblüten, der sich verflüchtigte, sobald sie ihn wahrgenommen hatte. Wie das Bouquet eines guten korsischen Weins, der im Moment des Entkorkens den Duft der Insel verströmt. An einem grauen Wintertag war sie sogar in die Stadt gefahren und auf den Fernsehturm gestiegen, in der kindlichen Hoffnung, über den Dächern von Köln einen Abglanz des korsischen Himmels zu entdecken. Der Duft und die Farben der Insel fehlten ihr am meisten. Aber auch die Stille der Dörfer, die Kargheit der Felsenlandschaft und die Majestät der schneebedeckten Berge über dem Meer. Am meisten aber fehlte ihr Sven: seine Umarmung, sein Optimismus, seine verrückten Ideen – einfach alles. (…)

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